Bundestag will neuen Infektions­schutz­katalog beschließen

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Fachverbände und Einzelsachverständige sehen den Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG, 20/15) sowie die angekündigte Aufhebung der epidemischen Notlage von nationaler Tragweite am 25. November teilweise kritisch. Mehrere Experten äußerten anlässlich einer Anhörung des Hauptausschusses unter Leitung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zum Gesetzentwurf am Montag, 15. November 2021, erhebliche Bedenken, ob mit der neuen Rechtsgrundlage die Pandemie bei stark steigenden Infektionszahlen bundesweit effektiv eingedämmt werden kann. Die geplante Verlängerung von sozialen und wirtschaftlichen Schutzschirmen wird hingegen nachdrücklich begrüßt.

Gegenstand der Anhörung war auch ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Verbesserung des Schutzes vor Impfpassfälschungen (20/27). Die Experten äußerten sich in der Anhörung sowie in schriftlichen Stellungnahmen zu den Gesetzentwürfen. 

Auslaufen der epidemischen Notlage umstritten

Die Fachleute gingen in ihren Äußerungen im Ausschuss teilweise auch auf weitere Regelungen ein, die über Änderungsanträge in den Gesetzentwurf von SPD, Grünen und FDP eingefügt werden sollen. So wollen die drei Fraktionen weitere Schutzvorkehrungen ermöglichen, darunter Kontaktbeschränkungen. Dies wurde von mehreren Experten ausdrücklich gelobt. Ob die epidemische Notlage auslaufen kann oder verlängert werden sollte, ist auch unter Rechtsexperten umstritten, wie in der Anhörung ebenfalls deutlich wurde.

Die drei Fraktionen planen die Einfügung eines bundeseinheitlich anwendbaren Katalogs möglicher Schutzvorkehrungen in Paragraf 28a IfSG. Damit soll es möglich sein, je nach Entwicklung der Lage erforderliche Schutzvorkehrungen zu ergreifen. Der neue Katalog sei auf Vorkehrungen beschränkt, die in der jetzigen Phase der Pandemie sinnvoll und angemessen sein könnten. Die je nach regionaler Lage differenzierte Anwendung bleibe gewährleistet. In Paragraf 28a Absatz 7 IfSG werden die Schutzvorkehrungen benannt, die bundesweit bis zum 19. März 2022 unabhängig von der festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite ergriffen werden können.

Finanzielle Entlastung von Kliniken begrüßt

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnte, die Impfquote und die Präventionsmaßnahmen reichten nicht aus, um die massive Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. Die Lage in den Krankenhäusern sei vielerorts angespannt und werde sich weiter zuspitzen. Eine steigende Anzahl schwer kranker und pflegeintensiver Corona-Patienten treffe auf Personal, das sich seit März 2020 in einer emotionalen und arbeitsbelastenden Ausnahmesituation befinde. Planbare Eingriffe müssten seit Oktober 2021 wieder verschoben werden.

Die DKG begrüße die geplante finanzielle Entlastung von Kliniken durch einen Versorgungsaufschlag. Allerdings litten alle Krankenhäuser unter dem Rückgang der Regelversorgung und Erlöseinbrüchen. Daher sollten auch alle Krankenhäuser den finanziellen Rettungsschirm in Anspruch nehmen können.

Besorgt wegen drohender Überlastung der Intensivstationen

Von einer beunruhigenden Dynamik des Infektionsgeschehens sprach die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Die Sorge gelte nicht nur der drohenden Überlastung der Intensivstationen, sondern auch den Notaufnahmen und Rettungsdiensten, deren Kapazitätsgrenze in einigen Regionen fast erreicht sei. Es sei daher zwingend nötig, das Gesetz zur epidemischen Lage von nationaler Tragweite noch beizubehalten und insbesondere Paragraf 28a Absatz 7 nicht zu ändern, damit die Länder weiter das gesamte Instrumentarium zur Eindämmung der Pandemie zur Verfügung hätten.

Die Intensivmediziner forderten ferner Kontaktbeschränkungen, insbesondere Veranstaltungen betreffend, sowie eine Testpflicht in Kliniken und Pflegeheimen für Mitarbeiter und Besucher, auch wenn sie geimpft oder genesen sind.

„Vom Gesetzentwurf geht ein falsches Signal aus“

Der Sozialverband Deutschland (SoVD) erklärte, angesichts der sich zuspitzenden Lage auf den Intensivstationen und schleppend anlaufenden Drittimpfungen (Booster) gehe von der geplanten Änderung des IfSG und dem Gesetzentwurf insgesamt ein falsches Signal aus. Zum jetzigen Zeitpunkt sei die Entscheidung, den Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, auch anlässlich der geplanten Aufhebung der epidemischen Notlage unverständlich, zumal die Folgeregelungen eine geringere Eingriffstiefe hätten.

Viele der finanziellen Entlastungs- und Unterstützungsleistungen seien wichtig und richtig. Es sei jedoch nicht der richtige Zeitpunkt, um über Folgeregelungen nachzudenken. Gerade die wirkungsvollsten Schutzvorkehrungen knüpften an die epidemische Notlage an.

„Den Ländern wirksame Schutzvorkehrungen ermöglichen“

Der Deutsche Landkreistag warnte, die Dynamik des Infektionsgeschehens habe sich in einer in diesem Ausmaß nicht vorhersehbaren Weise beschleunigt. Sollte tatsächlich auf die Feststellung der epidemischen Notlage verzichtet werden, wäre es zwingend geboten, dass der Bund den Ländern die Möglichkeit gebe, jene Schutzvorkehrungen anzuordnen, die für eine wirksame Eindämmung des Virus erforderlich seien.

Der Landkreistag schlug vor, den Paragrafen 28a IfSG unverändert zu lassen und die als Ersatz vorgesehenen Regelungen neu mit aufzunehmen.

„Auf Feststellung der epidemischen Notlage nicht verzichten“

Bedenken gegen den Gesetzentwurf brachte auch der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) vor.

Ohne die Feststellung der epidemischen Notlage nach Paragraf 5 IfSG seien die Auswirkungen der Pandemie nicht zu beherrschen, da in der geplanten Neufassung des Paragrafen 28a Absatz 7 keine wirksamen Vorkehrungen zur Erreichung von Kontaktbeschränkungen mehr aufgeführt seien. Somit stünde dem bisher ungebremsten Verlauf der Pandemie in diesem Winter kein wirksames Instrumentarium mehr entgegen.

Verzicht auf Impfpflicht nur für Pflegekräfte begrüßt

Der Deutsche Pflegerat (DPR) argumentierte, in einigen Bundesländern sei das Gesundheitswesen bereits überlastet. Daher sollte das Parlament die Feststellung der epidemischen Notlage nicht ohne Not auflaufen lassen. Abzuwägen sei auch, ob es einen bundeseinheitlichen Fahrplan geben solle oder ob die Entscheidungen der Länder und gegebenenfalls der Einrichtungen flexibel getroffen werden könnten.

Zu begrüßen sei, dass der Gesetzentwurf keine Impfpflicht enthalte, die sich nur auf die Pflegekräfte beziehe. Vielmehr müsse über eine Impfpflicht für alle Mitarbeiter nachgedacht werden, die Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Pflegebedarf versorgen.

„Soziale Schutzschirme haben sich bewährt“

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) würdigte die geplante Fortführung der sozialen Schutzschirme, die sich in der Pandemie bewährt hätten. Wie groß allein die wirtschaftliche Not sei, zeige die dramatisch gestiegene Inanspruchnahme der Schuldnerberatung.

Zugleich machten die steigenden Ansteckungszahlen und Impfdurchbrüche deutlich, dass weder die Pandemie noch die mit ihr einhergehenden Belastungen der Sozialwirtschaft beendet seien.

Gewerkschaften lehnen Auskunftspflicht über Impfstatus ab

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gab zu bedenken, es sei offen, nach welchen Parametern künftig auf Landesebene die infektionsschutzrechtlich vorausgesetzte Gefährdungslage festgestellt werden solle.

Je nach Pandemiegeschehen könnten in den Ländern Vorkehrungen nötig sein, die über den geplanten Katalog in Paragraf 28a IfSG Absatz 7 hinausgingen. Daher müsse die entsprechende Kompetenz der Länder erhalten bleiben. Der DGB lehnte überdies eine Auskunftspflicht über den Corona-Impfstatus von Beschäftigten gegenüber Arbeitgebern ab.

Arbeitgeber: Fragerecht nach Impf- oder Teststatus unverzichtbar

Der Arbeitgeberverband BDA erklärte, um den Infektionsschutz in Betrieben zu stärken und Schutzkonzepte sinnvoll anzupassen, sei ein Fragerecht nach dem Impf- oder Teststatus des Arbeitnehmers unverzichtbar. Das gelte unabhängig davon, ob sich der Betrieb für Konzepte nach 3G, 2G oder 2G plus entscheide oder einen anderen Weg einschlage.

Wer die Beschäftigten schützen solle, müsse sie nach ihrem Impfstatus, Genesenenstatus oder dem Testergebnis fragen dürfen. (pk/15.11.2021)

Bundesweit einheitlicher Maßnahmenkatalog geplant

Der Bundestag hatte die epidemische Lage von nationaler Tragweite am 25. August für drei Monate bis 25. November verlängert (19/32091). Nach der bisherigen Regelung im Infektionsschutzgesetz haben die Bundesländer auch nach Ablauf einer festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Möglichkeit, bei einer konkreten Gefahr der Ausbreitung von Covid-19 im jeweiligen Land sämtliche im Gesetz vorgesehenen Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Diese Regelung wollen die drei Fraktionen durch einen bundesweit einheitlichen Maßnahmenkatalog ersetzen, der unabhängig von der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite bis zum 19. März 2022 angewendet werden kann.

Dieser Maßnahmenkatalog ist laut Gesetzentwurf auf Vorgehensweisen beschränkt, die in der aktuellen Phase „sinnvoll und angemessen“ sein können. Die je nach regionaler Situation in den Ländern differenzierte Anwendung bleibe gewährleistet, heißt es. Arbeitgeber in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen können Beschäftigtendaten zum Impf- und Serostatus der Beschäftigten in Bezug auf Covid-19 im genannten Zeitraum verarbeiten, um die Verbreitung des Virus zu verhindern. Die Sonderregelungen zum Kinderkrankengeld sollen bis Ende 2022 verlängert werden, um coronabedingte Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung zu mildern. Dadurch wird mit Mehrausgaben von 300 Millionen Euro für den Bund im kommenden Jahr gerechnet. 

Vorgaben zum Infektionsschutz sollen verlängert werden

Mit einer Verlängerung des vereinfachten Zugangs zu den sozialen Mindestsicherungssystemen sowie der erleichterten Vermögensprüfung im Kinderzuschlag bis Ende März 2022 wollen die Fraktionen sicherstellen, dass diejenigen, die weiterhin unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie leiden, auch künftig die nötige Unterstützung erhalten. Die jährliche Mindesteinkommensgrenze nach dem Künstlerversicherungsgesetz soll auch für das Jahr 2022 ausgesetzt bleiben. Die Sonderregelungen in der pflegerischen Versorgung sollen bis Ende März 2022 weitergelten.

Die Vorgaben zum betrieblichen Infektionsschutz sollen für weitere drei Monate beibehalten werden, ebenso grundlegende Vorgaben wie die Kontaktreduzierung, die Testangebotspflicht sowie die Verpflichtung, betriebliche Hygienekonzepte zu erstellen und zu aktualisieren. Um das Risiko einer Infektion im Betrieb zu senken, sollen Betriebe nach dem Willen der Fraktionen dazu beitragen, den Anteil der geimpften Beschäftigten zu erhöhen. Beibehalten werden soll auch die Impfunterstützungspflicht für Arbeitgeber, um Schutzimpfungen der Beschäftigten während der Arbeitszeit zu ermöglichen. Durch innerbetriebliche Informationskampagnen soll die Impfbereitschaft gefördert werden.

Aufhebung der epidemischen Lage

Erstmals hatte der Bundestag am 25. März 2020 die epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt, die dem Bund besondere Befugnisse nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) gibt, etwa zum Erlass von Rechtsverordnungen und Anordnungen. Die Feststellung der epidemische Lage wurde sodann am 18. November 2020, am 4. März 2021, am 11. Juni 2021 und am 25. August 2021 verlängert.

Mit einer Gesetzesänderung im März 2021 billigte das Parlament eine Regelung, derzufolge der Bundestag spätestens drei Monate nach Feststellung der epidemischen Lage deren Fortbestehen feststellen muss, ansonsten gilt die Lage als aufgehoben.

Gesetzentwurf der CDU/CSU

Die Unionsfraktion fordert in ihrem Gesetzentwurf (20/27) einen besseren Schutz vor gefälschten Impfpässen. Impfnachweise hätten in der Corona-Pandemie enorm an Bedeutung gewonnen, denn für die Inhaber könnten sie zur Aufhebung von Beschränkungen führen oder zur Teilnahme an Veranstaltungen. Die zunehmende Relevanz der Impfnachweise habe dazu geführt, dass diese vermehrt gefälscht und in Umlauf gebracht würden. Dies gefährde die Erfolge im Kampf gegen die Pandemie.

Nach den bisher geltenden Straftatbeständen sei die Fälschung von Gesundheitszeugnissen gegenüber anderen Urkundenfälschungen privilegiert. Urkundenfälschung könne mit einer Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet werden. Die Straftatbestände der Paragrafen 277 bis 279 im Strafgesetzbuch (StGB), die die Fälschung von Gesundheitszeugnissen beträfen, sähen hingegen als Strafrahmen nur Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem oder zwei Jahren vor.

Strafrahmen soll erweitert und verschärft werden

Der Gesetzentwurf sieht Änderungen der Paragrafen 277 bis 279 StGB vor. Die Privilegierung solle entfallen. Die Tatbestände sollen sich auch nicht mehr auf die Täuschung von Behörden oder Versicherungsgesellschaften beschränken. Zudem sollen bei den Paragrafen 277 bis 279 der Strafrahmen angehoben und besonders schwere Fälle eingefügt werden. Bei den Paragrafen 278 und 279 StGB solle eine Versuchsstrafbarkeit eingeführt werden.

Ferner sollen besonders verwerfliche und in ihren Auswirkungen besonders gefährliche Urkundenfälschungen in Bezug auf Impfnachweise in den Kreis der Regelfälle für besonders schwere Urkundenfälschungen nach Paragraf 267 Absatz 3 StGB aufgenommen werden. Im Infektionsschutzgesetz sollen der Vorlage zufolge die Strafrahmen der Paragrafen 74 Absatz 2 und 75a moderat erhöht werden.

Aufgabe eines Hauptausschusses

Ein Hauptausschuss kann vom Parlament eingesetzt werden, um den Zeitraum bis zur Konstituierung der ständigen Ausschüsse zu überbrücken. Übergangsweise kann das Gremium Vorlagen beraten und dem Plenum Beschlussempfehlungen vorlegen. Der Hauptausschuss hat jedoch kein Selbstbefassungsrecht. Das heißt, er kann nur über Vorlagen beraten, die ihm vom Plenum überwiesen werden.

In der Vergangenheit fungierte der Hauptausschuss auch als Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, als Auswärtiger Ausschuss und als Verteidigungsausschuss. Zudem können ihm wichtige eilbedürftige Haushaltsvorlagen überwiesen werden. Den Vorsitz des Hauptausschusses führt die Bundestagspräsidentin. Mit der Konstituierung der ständigen Ausschüsse ist der Hauptausschuss aufgelöst und das Plenum überweist alle noch nicht erledigten Vorlagen an die nunmehr zuständigen Ausschüsse. (ste/vom/pk/15.11.2021)

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